Sie setzen sich dafür ein, dass öffentlich finanzierte Dokumentarfilme unter freier Lizenz langfristig verfügbar gemacht werden sollen – wieso befürworten Sie das als Kreative?
Ich persönlich mache Dokumentarfilme über die Gesellschaft – für die Gesellschaft. Ich möchte also, dass meine Filme gesehen werden und zur Reflektion relevanter Themen beitragen. Freie Lizenzen bedeuten für mich nachhaltige Sichtbarkeit sowie nachhaltige Nutzung und Nachnutzung. Dazu gehört, dass die Arbeiten dauerhaft auffindbar bleiben, denn Dokumentarfilme sind immer auch Zeitdokumente. Sie sind Teil unserer Geschichte und dürfen nicht, z.B. aus finanziellen Gründen, in den Untiefen der Archive verschwinden. Digitale Technologien ermöglichen eine Vervielfältigung fast ohne Kosten, dagegen stehen die Auswertungsmechanismen und Finanzierungsmodelle der Medienindustrie, die auf künstliche Verknappung und Limitierung setzen. Vor allem beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das unverständlich. Ein weiterer Punkt ist, dass wir mit frei lizenzierten Dokumentarfilmen im Netz tatsächlich auch den Blick auf die Gesellschaft mitgestalten könnten.
Inwiefern?
Frei verfügbar gibt es im Netz gegenwärtig recht viel demokratiefeinliche Propaganda und Fake News, die sich als Dokumentarfilme bezeichnen – ob Klimawandel-Leugner-Doku oder QAnon-Rechtfertigungen. Es geht darum, einen entscheidenden Beitrag zur Definition von Bewegtbild-Inhalten im Netz zu leisten – indem wir mit der Forderung nach freien Lizenzen für die Abbildung von Diversität und Vielfalt eintreten. Zudem hätten wir so den marktkonform hergestellten Dokumentationen, die meist nur über die Plattformen der großen Monopole hinter Bezahlschranken zugänglich sind, etwas entgegenzusetzen.
Wie sollte ein Modell freier Lizenzen bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendern konkret ausgestaltet werden?
In der Gesellschaft ist der Irrglaube verbreitet, der Öffentlich-Rechtliche decke mit der Haushaltsabgabe intern alle Kosten für das Programm. Dem ist leider überhaupt nicht so. Große Teile der Produktionskosten werden an die freien Kreativen, die Herstellenden und Produzierenden mit dem Hinweis durchgereicht, dass sie ihre Arbeiten ja weitergehend verkaufen könnten. Zudem ist das Drücken von Löhnen seit Jahren gängige Praxis in diesem Bereich, die Öffentlich-Rechtlichen nutzen also ihre Oligopolstellung aus, wo es nur geht. Filmhersteller*innen sollten also erstmal in die Lage gebracht werden, sich die Veröffentlichung unter freien Lizenzen leisten zu können.
Was braucht es dafür?
Im Kern geht es um die angemessene und vollständige Finanzierung sämtlicher Herstellungskosten und darüber hinaus die Bildung von Rücklagen, Sozialversicherung, Altersvorsorge und Krankenversicherung aller an der Produktion beteiligten Gewerke und Mitarbeitenden und natürlich die Möglichkeit zur Neuentwicklung von Stoffen. Wir reden also von einem Total Buy Out, wie er in anderen Branchen, zum Beispiel in der graphischen Gestaltung, durchaus üblich ist. Nur so können aus öffentlichem Geld auch öffentliche dokumentarische Arbeiten werden: von der Gesellschaft bezahlt, gemeinwohlorientiert an die Gesellschaft zurückgegeben.
Wo sehen Sie Schieflagen im System der Öffentlich-Rechtlichen?
Ich sehe strukturelle Schieflagen auf vielen Ebenen. Zum einen bei der Abbildung der Diversität unserer Gesellschaft. Dafür braucht es nicht nur eine Variationsbreite der Inhalte oder der dargestellten Personen, ihrer Hintergründe, Milieus und Themen, sondern auch eine Diversität bei den der Macher*innen und den dokumentarischen Formen. Zum Anderen steckt der ÖRR zu viel Geld in Fußball und disproportional teure Talkshows, Intendantengehälter und Renten, die weit über den Einkünften der heutigen Programmmacher*innen liegen. Außerdem ist das Redaktionssystem schwerfällig und die entstehenden Filme formal stark durchreglementiert. Freie, nicht fest formatierte Sendeplätze gibt es fast nicht mehr.
Was ist Ihre Forderung?
Der ÖRR bräuchte dringend eine Reform. Ich bezweifle aber, dass dieser schwerfällige Apparat so umgekrempelt werden kann, dass er den neuen Technologien und den dadurch entstehenden kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden kann. Deswegen die konkrete Forderung nach einem Alternativmodell: min. zwei Prozent der Haushaltsabgabe sollten pro Jahr für dokumentarische Produktionen aufgewandt werden – über eine Direktbeauftragung der Filmemacher*innen sowie der Produzierenden, gekoppelt an ein teil-randomisiertes Vergabemodell, wie es etwa in der Wissenschaft praktiziert wird.
Was könnte sich dadurch gerade auch für die Kreativschaffenden verbessern?
Eine schlanke Verwaltung würde Mittel für kreative Vielfalt freisetzen. Und es wäre gewährleistet, dass das Geld unbürokratisch dorthin fließt, wo es gebraucht wird, so dass ein gesellschaftlicher Mehrwert überhaupt entstehen kann. Das System des Produzierens unter freier Lizenz wäre außerdem ressourcenschonender, weil man – sofern es mit Persönlichkeitsrechten vereinbar ist – auf bereits produzierte Bilder zurückgreifen könnte. Man müsste z.B. nicht fünf Mal im Jahr den Reichstag drehen.
Wo sollten wir beim Urheberrecht umdenken?
Mit dem Urheberrecht sollen eigentlich künstlerische Arbeiten finanziert werden. So wie es jetzt gestaltet ist, passiert das aber oft nicht und führt mittelbar zu prekären Zuständen bei den Kreativen. Zudem verhindern stetig weiter ausgedehnte Urheberrechtslaufzeiten, dass nachfolgende Generationen ihre Kultur und ihren Platz in der Gesellschaft selbst definieren können, denn Teilen, Remixen und neu bewerten sind identitätsstiftend und waren schon immer Teil soziokultureller Praxis.
Um den digitalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aber wirklich umfänglich gerecht zu werden, braucht es nicht nur Nachbesserungen an einzelnen Stellen, sondern umfassende Veränderungen durch neue Modelle und Strukturen, auch über das Urheberrecht hinaus.
(erschienen bei Wikimedia)